Eröffnung des Lehrfriedhofs für Artenvielfalt der Schöpfung

Ansprache zur Eröffnung in Rugendorf am 23.10.2020

Es freut mich, dass wir trotz steigenden Coronawerten hier die Eröffnung des Lehrfriedhofs feiern können. Ein Freiluftgottesdienst ist gut möglich. Und wir begehen diese Eröffnung gottesdienstlich - nicht nur weil wir hier auf einem kirchlichen Friedhof sind, sondern weil die Regeneration der Schöpfung ureigenstes Anliegen ist für Christen, die an Gott als Schöpfer und Erhalter dieser Welt glauben. Wir können unseren Gott doch mit seinen Zielen - und er will die Erhaltung der Schöpfung - nicht alleine lassen.

Bisher haben wir immer nur von der Eröffnung des Lehrfriedhofs gesprochen. Doch wer im Internet nach Lehrfriedhof sucht, stößt auf den in Münnerstadt. Dieser deutschlandweit einzige Lehrfriedhof wurde 1994 eingeweiht. Dort werden seitdem jährlich ungefähr 200 Bestatter ausgebildet.  
Mit Münnerstadt wollen wir hier in Rugendorf nicht konkurrieren. Pfarrer Harder und ich haben darum vor drei Tagen vereinbart, dass wir in Zukunft das Spezifikum unseres Lehrfriedhofs auch benennen:
Es ist ein „Lehrfriedhof für Artenvielfalt der Schöpfung“.
Und ein Lehrfriedhof für Artenvielfalt der Schöpfung ist bisher in Deutschland ebenfalls einzigartig. Wir wollen hier also keine Bestatter ausbilden, sondern Impulse geben für Kommunen und Kirchen-gemeinden zur schöpfungsgemäßen, naturnahen Umgestaltung ihres Friedhofs. Denn Friedhöfe haben oft gar keinen weiten Weg, um „Oasen für Pflanzen und Tiere“ zu werden, sodass sich seltene Pflanzen und Tiere wieder ansiedeln - solche, die wir vielleicht schon lange nicht mehr gesehen haben.

Als Bibelwort für meine Ansprache wähle ich eine biblische Geschichte, in der die Artenvielfalt Thema ist. Ich lese aus der zweiten Schöpfungsgeschichte aus 1. Mos 2, 18-20 vor. Sie ist überschrieben ist mit „Der Garten Eden“.
18Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. 19Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. 20Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach.
Laut dieser uralten biblischen Geschichte sieht Gott, dass es nicht gut ist, dass der Mensch allein ist. Er erschafft die Eva, die zu Adam passt. Aber vorher gibt Gott Adam die Aufgabe, die Geschöpfe mit Namen zu bedenken. Das tun Biologen ja heute immer noch, wenn sie ein neues Insekt entdecken.
Es ist eine Freude, Pflanzen und Tiere, die vielen Arten, zu erkennen und zu benennen - wohl seit Beginn menschlicher Kultur. Im letzten Wanderurlaub waren mein Mann und ich immer wieder am Fotografieren von Faltern, die wir nicht kannten. Wir haben versucht sie zu bestimmen. Schau, wie heißt der? Wir hatten Freude an der Identifizierung. Das ist eine alte, den Menschen tief inne wohnende Freude, Pflanzen und Tiere zu erkennen und zu benennen. Sie ist wohl so alt, wie der Mensch selbst. Und die alten Autoren dieser Schöpfungsgeschichte verlagern die Freude an den Arten, am Entdecken und Benennen sogar in den Schöpferwillen.

Viele, die hier auf einen Friedhof kommen, haben ihre Eva, ihre Frau oder ihren Adam, ihren Mann verloren. Die Schöpfung kann sie trösten - die Lebewesen, die sie plötzlich entdecken - in Bäumen, Hecken und Mauerritzen. Dass Adam Tiere entdeckt und benennt hat Adam in seiner Einsamkeit getröstet. Trost, der auch Friedhofsgängern gut tut. Durch seine Schöpfung betreibt Gott Seelsorge an uns. Einen Menschen, dem wir vertrauen, brauchen wir freilich trotzdem noch.

Friedhöfe, ein Paradies für Pflanzen und Tiere, so heißt das Projekt, das seit 2017 läuft. Vor kurzem habe ich mich versprochen und nannte das Projekt: Friedhöfe ein Paradies für Menschen und Tiere. Auch nicht verkehrt, denn wenn Friedhöfe ein Paradies für Pflanzen und Tiere werden, dann können sie das umso mehr auch für Menschen werden. Regenerierte Schöpfung regeneriert und stärkt auch den Menschen, der selbst Geschöpf unter Geschöpfen Gottes ist.

Das Projekt hat drei Motoren:
Erstens das Planungsbüro für angewandten Naturschutz in München - PAN; es koordiniert.
Zweitens die Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege - ANL; sie ist der Projektträger und
Drittens den kirchlichen Verein „Schöpfung bewahren konkret“; er verantwortet die Inhalte.
Allen dreien danke ich herzlich.

Mit dem heutigen Tag kommt das Projekt einen deutlichen Schritt weiter. Unser kirchliches Umweltreferat hatte Anfang dieses Jahres über die Umweltbeauftragten der Kirchenkreise - zu ihnen gehört auch Pfarrer Bischoff und Herr Gruber - Flyer verteilt, um das Projekt bekannt zu machen. Und es schlug ein - trotz Corona.
Frau Füchtbauer, die Projektbeauftragte unserer Kirche, konnte die Gemeinden gar nicht mehr einzeln begleiten und machte drei Fortbildungen, in denen sie die interessierten Gemeinden bündelte: die erste mit 10 Personen auf dem Rugendorfer Friedhof, dann weitere in Mangersreuth und Wonsees.
Von Mal zu Mal verstärkte sich der Wunsch nach einem Lehrfriedhof, sodass - gerade in Coronazeiten - Menschen auch einzeln oder in kleinen Gruppen anhand der Schautafeln sich selbst Anregungen holen können.
Das fand große Unterstützung beim Landratsamt Kulmbach in Person von Frau Flieger. Ich danke dem Landkreis für die Finanzierung dieser Schautafeln, Frau Füchtbauer für die inhaltliche und der Rugendorfer Firma Klara für die handwerkliche Erstellung.

Rugendorf eignet sich bestens als Lehrfriedhof für Artenvielfalt der Schöpfung, denn hier sind alte Bäume, eine stufige Hecke aus einheimischen Straucharten, ungedüngte Wiesenflächen und sogar kleine Biotope. Ich danke der Rugendorfer Kirchengemeinde in Person von Frau Pfarrerin Wagner, und dem ganzen Kirchenvorstand samt allen Engagierten für diese Vorreiterrolle!

Vielleicht gibt es auch Skeptiker, denn Friedhöfe, die gemäß den Kriterien des Projekts umgestaltet werden, entsprechen manchen Ordnungsvor-stellungen nicht mehr. Dass da nun in einem Teil der Fläche kein englischer Rasen grünt, sondern eine oberfränkische Wiese blüht, entspricht nicht jedem Schönheitsideal. Und dass die noch dazu auch nicht gemäht wird, könnten manche als Faulheit oder Schlamperei verstehen.
Doch im Zuge neuen Schöpfungsbewusstseins wandelt sich das, was wir gut finden. Seit zwei Jahren freue ich mich über jeden Regen - auch über den am heutigen Tag. Der Wald ist immer noch nicht bis in zwei Meter Tiefe durchfeuchtet. Wir brauchen ihn.
Auch Schönheitsvorstellungen können sich wandeln. Auf einmal ist Freude da über die Wildbienen an Flockenblumen, Eidechsen an alten Mauern und Bläulingen an Disteln.  Und wir lernen Namen, die wir nicht kannten und finden uns wieder als Teil von Gottes Schöpfung - wie heilsam.

Die Freude an der Schöpfung ist ein wesentlich stärkerer Motor zur Regeneration der Schöpfung als der erhobene Zeigefinger. Und dieser Lehrfriedhof für Artenvielfalt der Schöpfung weckt über neues Bewusstsein auch neue Freude. Die schenke Gott. Amen