Glockenweihe in Altenstein

Predigt von Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner am 17.05.2020 in Altenstein

Liebe Gemeinde,

wir feiern heute Glockenweihe trotz der Covid 19-Pandemie. Wir trotzen ihr damit in gewisser Weise auch, denn die Glocken, die gebrannt sind, können und  sollen nun auch trotz der Pandemie in Gebrauch genommen werden.
Pfarrer Köttig und der Kirchenvorstand hatten schon seit langem geplant, am Sonntag Rogate die Glocken zu weihen. Das war goldrichtig! - Nicht nur, weil wir inzwischen unter Einhaltung von Abstandsregeln wieder Gottesdienst feiern dürfen, sondern: der Sonntag Rogate ist auch inhaltlich der richtige Sonntag.

Betet! Der Name dieses Sonntags Rogate bedeutet übersetzt: betet! Betet! Ist auch immer die Botschaft klingender Glocken.
Glocken haben gewiss mehrere Aufgaben: „Lebende rufe ich, Tote beklage ich, Blitze breche ich“, das schreibt Friedrich Schiller 1799 - allerdings in Latein - über sein Gedicht von der Glocke.
Lebende rufe ich: Ja, Glocken rufen uns zum Gottesdienst. Hier in Altenstein eine Stunde vorher die kleine, ein halbe Stunde nochmals die mittlere und 5 Minuten vorher alle drei. Wir sollen kommen.
Tote beklage ich: Die neue Läuteordnung, die der Kirchenvorstand jüngst beschlossen hat, beinhaltet, dass am Tag, wenn jemand gestorben ist, hier in der Gemeinde, die kleine Glocke um 19.00 Uhr läuten wird. Sie läutet auch am Karfreitag um 15.00 Uhr zur Sterbestunde Jesu.
„Blitze breche ich“? Vermutlich werden wir anders als noch zu Schillers Zeiten, diese Aufgabe nicht mehr wörtlich nehmen. Im 18. Jahrhundert wurde das Wetterläuten abgeschafft, weil es Aberglauben sei, dass die Glocken Blitze brechen können. Ja gewiss, das ist Aberglauben. Aber hätte man das Wetterläuten vom Grundsinn des Glockenläutens her verstanden, wäre es kein Aberglaube gewesen. Denn der Grundsinn des Glockenläutens ist der Ruf zum Gebet. Und es lässt sich auch um Schutz für Mensch und Natur beim Gewitter beten. Nun, Gewitterläuten werden wir nirgendwo mehr einführen. Doch wir haben das tägliche Gebetläuten, bei dem unsere Sehnsucht nach Schutz und Segen einfließen kann.

Die mittlere der Altensteiner Glocken heißt sogar Rogate - betet.
Wenn um 7.00, um 12.00 und um 18.00 Uhr eine Glocke tönen wird, dann wisst Ihr Altensteiner, es ist die Rogate und die ruft Euch auf zu beten.
Dieser Ruf zum Gebet drei Mal am Tag ist ja nicht nur in Altenstein so. Überall, von allen Kirchtürmen rufen Glocken täglich drei Mal zum Gebet. Kern unseres Evangeliums heute ist die Aufforderung: Gott zu bitten, um das, was wir zum Leben brauchen. Läutende Glocken sind sozusagen die Vertonung des heutigen Evangeliums.

Die Weihe dieser Glocken und ihr erstes Läuten ist ein bedeutsamer Neustart für Altenstein, nicht nur, weil der Ort neue Glocken hat. Vielmehr durften in Altenstein seit den 70-er Jahren die Glocken morgens und mittags nicht läuten, weil ein Pensionswirt mit Klage drohte. Er fürchtete um seine Gäste bzw. seine Einnahmen. Der Tourismus durch Urlauber aus Berlin ist vorbei und der Streit auch. Die Kirchengemeinde hätte im Rechtsstreit gewiss obsiegt. Doch es ist viel besser, wenn der nicht nötig ist. Nun ist Geläut im Frieden und mit Gebet für den Frieden möglich.

Die letzten Wochen im Lockdown waren merkwürdig. Auf Dörfern hat man es gar nicht so gemerkt, wie z.B. ich in Bayreuth: Es war leise. Der Verkehrslärm war weg.
Mancher fragte sich: „Warum singen die Vögel dieses Jahr so laut?“ Aber sie sangen gar nicht lauter. Es war nur sonst leiser. Und plötzlich hörte man die Vögel, die Regentropfen und die Glocken.

Es ist aber wohl nicht nur eine Frage des Lärms, ob man die Glocken hört.
Denn zum einen hören wir vieles - und beachten es nicht. Wir filtern es weg. Vielleicht können diese Pandemie und auch der Neustart des Geläuts hier in Altenstein dazu beitragen, dass wir die Glocken bewusst hören und ihren Aufruf zum Gebet.

Ich habe die Glocken früher - auch noch als ich Pfarrerin war - oft überhört. Ich betete täglich und vielfach zu Gott. Doch ich nutzte die Glocken nicht, hörte ihren Ruf zum Gebet selten bewusst.
Das hat sich sehr geändert, seit wir uns in meinem Team - immer wenn mittags um 12 die Glocken ertönen - zum Gebet treffen. Jeder kommt aus seinem Zimmer ins Foyer. Erst sammeln wir die Anliegen. Wir nennen Pfarrer oder andere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende, von denen wir wissen, dass sie krank sind oder aus anderem Grund Gottes Hilfe brauchen. Oder wir beten für ein Kind, das gerade geboren ist. Seit 7 Wochen nennen wir einen Prädikanten, der im besten Alter und ohne Vorerkrankungen schwerst an Corona erkrankt ist. Immer enden wir unser Gebet mit dem Lied: Verleih uns Frieden gnädiglich. Wir singen mit Maske. Aber wir singen.

Es ist merkwürdig: Wenn Samstag ist, und niemand im Haus, kann ich die Mittagsglocken nicht mehr überhören und bete auch ohne mein Team. Offensichtlich ist Gebet auch eine Sache der Einübung.
Manche werden denken, so konsequent werde ich nicht sein und dran denken zu beten, wenn die Glocken läuten. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Sie sie überhören. Aber wenn Sie sie hören, dann sprechen Sie ein „Vater unser“ oder einfach ein „Herr erbarme Dich“, und Sie denken dabei an einen Menschen, der Hilfe braucht. Vielleicht sind auch Sie selbst der Mensch, der Hilfe braucht. Gott hört Ihr Gebet.
Mal beten wir mehr, mal weniger. Doch indem wir das Gebet praktizieren, wird es uns immer vertrauter werden. Und Ihr Innerstes, Ihre Seele atmet.

Die deutsche Sprache kennt ein schönes Wort: Innehalten. Die schwingenden Glocken morgens, mittags und abends helfen uns zum Innehalten. Das ist mehr als ein Anhalten und Stoppen mitten im Stress. Bei diesem betenden Innehalten merken wir, dass wir von innen her - von Gott her - gehalten sind. Gott ist es, der Blitze bricht, der große Spannungen in unserem Leben abbaut, sobald wir mit ihm in Verbindung stehen.

Rogate. Betet, weil Gott nur darauf wartet, euch zu beschenken. Betet in großem Vertrauen. Das heutige Evangelium ermutigt zum Vertrauen. Und der Wochenspruch, der für diesen Sonntag Rogate gilt, ebenfalls: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“ Genau dieser Psalmvers steht auch auf der Glocke Rogate eingraviert. Nie wird Gott sagen: „Dein Anliegen oder Dein Gebet ist zu armselig.“ Er freut sich, wenn wir uns zu ihm wenden. Er wartet darauf.
Darum betet, wenn die Glocken läuten und wann immer Euch danach ist.
Gott hört Dein Gebet und nimmt Dich und Deine Bitte an.
Amen.