Gottesdienst zu Martin Luther King

Predigt von Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner am 26.01.2020 in der Stadtkirche Bayreuth

We shall overcome – wir werden überwinden!
Im Oktober 1945 traten in Charleston, South Carolina, weibliche afroamerikanische Arbeitskräfte in einen fünfmonatigen Streik gegen erniedrigende Arbeitsbedingungen bei der American Tobacco Company.
Es war nach einem langen kalten Streiktag mitten im Winter. Alle Streikposten waren erschöpft. Da fing Lucille Simmons an zu singen: „We shall overcome“; wir werden überwinden! Dieses Lied veränderte die Stimmung, schenkte Kraft durchzuhalten. Von da an erklang es in Kirchen, Familien und Streikversammlungen.
Auch bevor der Pfarrer Martin Luther King 18 Jahre später am 28. August 1963 vor dem Lincoln Memorial seine berühmte Rede „I have a dream“ hielt, sang Joan Baez dieses Lied. „We shall overcome“ war inzwischen so etwas  wie die Hymne der Befreiung geworden; sie half den Kampf für Gerechtigkeit in Frieden zu gewinnen.

Overcome – überwinden! Auch unser Bibelwort, das Grundlage meiner Predigt ist, handelt vom Überwinden. Es steht ihm 1. Johannesbrief, Kapitel 5, Vers 4 und 5:
„Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der da glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist.“

Zur Überwindung der Rassentrennung gehörte wesentlich Übung und Disziplin des Glaubens an Jesus, den Sohn Gottes.
Blicken wir nach Montgomery. Wir schreiben das Jahr 1955. Schwarze stehen an der Bushaltestelle. Als der Bus kommt, zahlen sie vorne beim Busfahrer das Ticket, dann werden sie wieder hinausgeschickt, damit sie hinten einsteigen, denn vorne dürfen nur Weiße sitzen. Doch während sie sich zu hinteren Tür begeben, fährt der Busfahrer davon – absichtlich. Eine alltägliche Demütigung für Schwarze, am liebsten bei Regenwetter.
Am 2. Dezember 1955 tut Rosa Parks nicht, was der Busfahrer ihr sagt. Sie setzt sich vorne in den Bus und steht nicht auf. Sie wird verhaftet.
Daraufhin organisiert Martin Luther King zusammen mit schon bestehenden Bürgerinitiativen einen Busstreik. Die Schwarzen gehen zu Fuß, brauchen viele Paar Schuhe in den 381 Streiktagen – über ein Jahr halten sie durch. Dann gibt der Staat Alabama die Rassentrennung in Behörden, Restaurants, Bahnen und Bussen auf.
Doch die Gewalt in der Gesellschaft gegen Schwarze nimmt eher zu. Mehrmals wird Martin Luther King zusammengeschlagen, ein Brieföffner wird ihm in die Rippen gestoßen, dreimal fliegt eine Bombe in sein Haus.  In Birmingham/Alabama geschehen in sechs Jahren 17 Bombenanschläge gegen die Häuser und Kirchen von Schwarzen und unzählige Körperverletzungen.
Angesichts dieser Gewalt ruft MLK zu gewaltlosen Demonstrationen auf. Zuvor aber trainiert er die Kinder, die  Jugendlichen und Erwachsenen im Überwinden von Hass durch Liebe.
Zu sechs Schritte müssen sich alle schriftlich verpflichten, die demonstrieren wollen:
1.    Jeden Tag über die Lehre und das Leben Jesu nachdenken
2.    Nie vergessen, dass nicht der Sieg das Ziel ist, sondern Gerechtigkeit und Versöhnung
3.    Im Geist der Liebe gehen, denn Gott ist Liebe
4.    Täglich darum beten, dass Gott mich benutzt, um anderen zur Freiheit zu verhelfen
5.    Auf die Gewalt der Faust, der Zunge und des Herzens verzichten.
6.    Das ist wohl am einfachsten: den Anweisungen des Demonstrationsleiter folgen.
Nehmen wir allein nur den ersten Punkt: „Jeden Tag über die Lehre und das Leben Jesu nachdenken“.  Das sollen auch wir. Denn Jesus ist es, der die Welt überwunden hat. Der Schreiber des 1. Johannesbriefes stellt darum die fast rhetorische Frage: „Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht, der da glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist.“
Martin Luther King wusste, dass die Überwindung der Welt zuerst echte Arbeit an sich selbst ist, Arbeit, die wir Jesus an uns tun lassen müssen.

Für sich selbst trug ihn die Gewissheit:  Was immer geschieht, ich bin mit Jesus verbunden – auch wenn ich sterbe. Dann bin ich ganz bei ihm. Er hatte die Verheißung vor Augen aus dem biblischen Buch der Offenbarung. Dort heißt es:

„Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden und ich werde ihn nicht austilgen aus dem Buch des Lebens. „I´ve got a robe up in that kingdom, yeah“ singt unser Musical. I´ve got a robe, ein Lichtkleid, das alle im Himmel tragen, die mit und durch Jesus die Welt überwinden.
Auch uns kann diese Perspektive stärken auf dem von Jesus gebahnten Weg, Gewalt und Hass mit Liebe zu überwinden: Ive got a robe up in that kingdom yeah.

Zwischensong: I´ve got a robe

I´ve got a robe – diese Hoffnung auf den Himmel macht stark auf der Erde: Am 2. Mai 1963 ließ Bull Connor, der rassistische, brutale Polizeipräsident von Montgomery 959 Kinder verhaften, die mit demonstriert hatten.
Man stelle sich die Situation der Kinder im Gefängnis und die Verzweiflung der Eltern vor. Doch die blieben selbst da in der Gewaltlosigkeit und Liebe Jesu. Drei Tage später – ereignete sich das „Wunder von Birmingham“: Die Demonstranten knieten auf der Straße nieder und beteten schweigend. Da geschah es:
Die Polizisten verweigerten den Gehorsam, ließen die Schlagstöcke sinken, nahmen den Helm ab und wichen zurück.
In Folge entsandte Robert Kennedy 3000 Mann der Nationalgarde und enthob den Polizeichef des Amtes.

„We shall overcome“ war erfahrene Realität.
„We shall overcome“ erklang auch in den Wochen vor dem Fall der Mauer 1989. Menschen fanden sich zusammen zu Friedensgebeten in Leipzig und in vielen Städten im Osten Deutschlands. Eine Frau schrieb über das Friedensgebet am 25. September 89 folgendes:
"Und dann ‚We shall overcome‘. Ich muß sagen, die Kirche war ja voll wie noch nie. Die Leute saßen tatsächlich bis zum Altarraum und ringsum. Man konnte gar nicht mehr gehen. Viele standen draußen. Und die Verhaftungen vorher verbreiteten eine sehr große Spannung … Durch das Singen ging plötzlich die Angst weg, und Hoffnung kam auf, ein Gefühl, uns kann eigentlich nichts passieren.“
Zwei Wochen später fiel die Mauer. Christus, der Überwinder von Angst und Gewalt war am Werk in den Kirchen, in den Menschen und durch sie.

 „We shall overcome“ ist bewusst so komponiert, dass in den Anfangstönen das „Weihnachtslied“ „O du fröhliche“ anklingt. Denn die erste Strophe von „O du fröhliche“ lautet: „Welt ging verloren, Christ ist geboren, freue, freue dich, o Christenheit“.
Nein, es muss nicht alles bleiben wie es ist. Auch in der heutigen Welt nicht, auch in unseren Familien nicht.
In unserer Familie - was gilt es bei uns zu überwinden? Ist da ein Familienmitglied aggressiv, erfährt eines nicht die Zuwendung, die es braucht?  Beide brauchen die Erfahrung, von Herzen geliebt zu sein. Kraft und Geduld dazu kommt aus dem Gebet zu Jesus, der uns den Weg vorausgegangen ist.
In der Schulklasse: Da ist ein Schüler, der immer geträtzt und ausgegrenzt wird. Der hat vielleicht auch selbst ein massives Fehlverhalten. Trotzdem gilt ihm Jesu Liebe; und als Christen lernen wir, sie ihm entgegenzubringen, unermüdlich, auch wenn er sich weiter mies verhält.
In unserer Gesellschaft: Da wird die Kluft immer größer zwischen denen, die sich für Geflüchtete einsetzen und denen, die sie einfach nur raus haben wollen und dies mit ätzender Sprache v.a. im Internet zum Ausdruck bringen. Jesu Liebe gilt ihnen und den Geflüchteten. Jesu Liebe überwindet die Welt.
Auch die Schöpfungszerstörung auf Kosten der nachfolgenden Generationen muss und darf nicht so bleiben, wie sie in der Gegenwart geschieht. Die Liebe, die Jesus uns ins Herz legt, gilt auch den kommenden Generationen.

Jesus hat in seinem Leben und sterbend am Kreuz die Teufelskreise dieser Welt zerbrochen und darum überwindet auch der Glaube an ihn die Welt. Der auferstandene Jesus lebt in uns, stärkt und leitet uns dabei.

Die Weihnachtszeit geht noch bis 2. Februar. Unser Weihnachtslied „oh Du fröhliche“, von dem „We shall overcome“ in den ersten Takten seine Melodie hat – dieses Weihnachtslied erinnert an den Grund, warum wir die Welt überwinden können: weil Jesus geboren ist und weil er gekommen ist, die Welt zu versöhnen und uns mitnimmt auf seinen Versöhnungsweg. „We shall overcome“ - durch ihn. Darum: „Freue dich, oh Christenheit“.
Amen.