Ordination von Anja-Désirée Lipponer

Predigt von Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner zum Lukas 18,31-43 am 23.02.2020 in der Dreieinigkeitskirche Hof

Liebe Festgemeinde, vor allem liebe Frau Lipponer,

die Geschichte von der Heilung des blinden Bartimäus ist eine der bekanntesten und eindrücklichsten Heilungsgeschichten der Bibel. Warum?
Weil da ein Mensch ruft: „Jesus, erbarme Dich meiner.“ Die Menschen finden es peinlich und schimpfen ihn. Da schreit er nur noch lauter.
Ich bitte Sie alle - lassen Sie sich durch nichts und niemanden davon abbringen, zu Jesus zu rufen, wenn Sie Hilfe brauchen. Wenn Sie noch nie zu Jesus gerufen haben, dann nehmen Sie sich Bartimäus zum Vorbild. Sie können andere oder seine Worte wählen: „Jesus, erbarme Dich meiner“.  Jesus hört Menschen, die zu ihm rufen, so wie er Bartimäus hörte. Er hört auch, wenn wir tonlos rufen, wenn unsere Seele schreit. Er will und wird helfen auf seine Weise.
Der zweite Grund, weshalb die Geschichte so bekannt geworden ist, liegt in der einfachen Frage, die Jesus Bartimäus stellt: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ Jesus kann sich doch denken, dass der Blinde sehen will.  Aber Jesus fragt ihn trotzdem. Jesus will hören, was Bartimäus wirklich will.
Wenn Jesus Sie fragen würde: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ Was würden Sie antworten? Es ist so wichtig, sich über seine tiefsten Sehnsüchte klar zu werden und sie Jesus zu sagen.  Bonhoeffer wusste: Jesus „erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen“. Er geht unseren Sehnsüchten auf den Grund und nimmt sie heilsam und hilfreich auf.

Was wollen Sie, liebe Frau Lipponer, dass Jesus Ihnen tun soll? Keine Sorge, Sie müssen nicht mir antworten, nur ihm. Heute bei Ihrer Ordination lege ich Ihnen die Hand auf zusammen mit den Assistierenden. Unsere Handauflegung ist durchscheinend dafür, dass Gott Sie berührt und segnet und Ihnen gibt, was Sie brauchen für Ihren Dienst und Ihr Leben.
Der Segen heute macht Sie nicht zu einem heiligeren Menschen. Doch im Segen schenkt Gott sich, seine Gegenwart. Er sagt Ihnen zu: Ich werde da sein, Dir helfen - nicht nur in Deinem Dienst, sondern in Deinem ganzen Leben. 

Sie gehen nun ein Jahr nach Polen. Was sind Ländergrenzen für Gott? Er wird da sein, wenn Sie im Kirchenamt der kleinen lutherischen Kirche in Polen organisatorische Arbeit tun und er wird da sein, wenn Sie in der deutschsprachigen Gemeinde in Warschau Gottesdienste feiern und Menschen seelsorgerlich begleiten. Sie nehmen ihn als ihre Heimat mit.

Sie, liebe Frau Lipponer, können zum einen wie Bartimäus Jesus um Hilfe rufen. Und als Ordinierte treten Sie zum anderen zugleich in die Tradition der Jünger und Apostel, die durch Jesus gesandt werden. Die Bartimäusgeschichte ist auch eine Sendungsgeschichte. Jesus sendet Menschen, Bartimäus zu ihm zu bringen.
Eigentlich finden die Menschen Bartimäus peinlich. In unserer Geschichte, steht sogar „die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen“. „Die aber vornean gingen“ - ob da eine Kritik an den Leitungspersönlichkeiten der Gemeinden, ja der Kirche angedeutet ist? Vielleicht schon. Die vornean gehen - von Bischöfin über Pfarrer, Vikarin, Kirchenvorständen bis zu Gruppenleitenden - wir denken oft nur, wir wüssten, was zu tun ist. Aber Jesus hat offensichtlich ganz andere Vorstellungen.
Er findet diesen randalierenden Bartimäus nicht peinlich - eher wohl, dass da Menschen sind, die blind sind für seine Not. Diese geistlichen blinden Menschen sendet er, den körperlich blinden Bartimäus zu ihm zu bringen.
Jesus ist mit seinen Jüngern und viel Volk unterwegs. Ich habe nachgelesen, ob er nur seine Jünger sendet, Bartimäus zu ihm zu bringen. Nein, er befiehlt, denjenigen, die gerade da sind, Bartimäus zu ihm zu bringen. „Befehlen“, steht da. Offensichtlich versteht Jesus da keinen Spaß. Einem Menschen in Not muss geholfen werden. Diesen Weg der Liebe ist er gegangen, er wurde von vielen nicht verstanden, er war anrüchig und hat ihn ans Kreuz gebracht. Doch er hat ihn selbst am Kreuz noch durchgehalten.
Menschen zu Jesus bringen, ist nicht nur die Aufgabe der Jünger - und der Ordinierten, sondern aller, die sich um Jesus scharen. Bringt Menschen zu Jesus. Das ist Eure Aufgabe.
Wie geht das? Zwei Beispiele nenne ich:
Schleppen wir Menschen ab und bringen sie in den Gottesdienst. Denn Jesus ist hier. Er ist in unserer Mitte. Gottesdienste sind besondere Räume, in denen Menschen Jesus begegnen können.
In unserem Kirchenkreis findet die Aktion „Back to church“ statt. In manchen Dekanatsbezirken läuft die Aktion unter dem Motto „Schöner Sonntag“ oder „Gottesdienst erleben“.
Immer geht es darum, dass - nicht nur der Pfarrer - sondern die Gottesdienstgemeinde an einem vorher festgelegten Sonntag selbst einlädt.
Dazu bekommt die Gottesdienstgemeinde schöne Flyer als Hilfsmittel an die Hand. Zwei Drittel der Dekanatsbezirke im Kirchenkreis Bayreuth machen bereits mit und ich freue mich riesig, dass letzte Woche die Pfarrkonferenz des großen Hofer Dekanats ebenfalls dafür votiert hat.
Dort, wo die Aktion schon läuft, machen die Gemeinden eine erstaunliche Erfahrung. Menschen lassen sich einladen. Es kommen tatsächlich mehr Menschen in die Gottesdienste. Manche Menschen wollen zu Jesus gebracht werden. Sie warten nur darauf.
Ein Dekan, der die Aktion schon zum zweiten Mal durchführte, schrieb mir vor 10 Tagen: „Alle Kolleginnen und Kollegen, die ich bisher sprechen konnte, berichten von deutlich besser „besuchten“ Gottesdiensten (in A-Dorf gingen im Anschluss an den Gottesdienst dann auch die Weißwürste aus…). In B-Stadt haben wir beobachtet, dass in diesem Jahr eine „Schwellenangst“ der „üblichen Gottesdienst-besucher“, andere Leute einzuladen, kaum mehr vorhanden war - und damit auch einige Personen den Weg in die Kirche gefunden haben, die z.B. ´seit sie in B-Stadt wohnen` … die Kirche nicht von Innen, geschweige denn zu einem Gottesdienst gesehen hatten. … Gott sei Dank dafür.“
Lassen wir uns nicht einreden, dass die Menschen kein Interesse mehr an Kirche, Jesus, am Glauben haben. Ganz im Gegenteil. Menschen haben tiefe Sehnsüchte und viele ahnen, dass ihre tiefsten Sehnsüchte nur von Jesus aufgenommen, verwandelt, erfüllt werden. Jesus sendet uns, Menschen zu ihm zu bringen. Das ist unsere Aufgabe.

Ein zweites Beispiel, wie wir Menschen zu Jesus bringen können:
Immer um 12.00 Uhr, wenn die Glocken läuten, lassen alle im Büro der Regionalbischöfin die Arbeit Arbeit sein und finden sich ein zum Mittagsgebet. Auch mitten im Telefonat mit wichtigen Persönlichkeiten bitte ich um Verständnis, dass ich abbrechen muss, weil jetzt Mittagsgebet ist. So sagte ich auch schon Regierungspräsident Wenning, dass ich ihn ins Gebet einschließe und in 5 Minuten wieder anrufe. Er hat sich sogar über diese seltsame Telefonatunterbrechung gefreut, weil er wusste, wir beten für ihn.
Wir nennen dann einfach die Namen der Menschen, die in besonderer Not sind; und singen dann „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Es tut mir selbst gut, die Menschen, die mir auf der Seele liegen - kranke Pfarrer oder Relipäds, zerstrittene Gemeinden, Menschen in besonderer körperlicher Not - zu nennen. Auch das Team nennt Menschen, die Jesu Hilfe besonders brauchen.
Einmal am Tag Menschen zu Jesus bringen. Es muss nicht beim Mittagsläuten sein - vielleicht bevor Sie einschlafen, vielleicht beim Spaziergang. Wenn wir Menschen zu Jesus bringen im Gebet, so wird das nie wirkungslos sein. Einfach an den Menschen denken und Jesus bitten: „Erbarme Dich seiner“. Immer wenn Sie das tun, bringen Sie einen Menschen - im übertragenen Sinne zu Jesus. Jesus ist heute nicht mehr sichtbar unter uns - aber als Auferstandener. Und dem Auferstandenen können wir die Menschen im Gebet bringen.

Sie, liebe Frau Lipponer, haben hier im Vikariat die Erfahrung gemacht, dass es den Menschen gut tut, wenn Sie am Ende des Besuchs noch beten. Natürlich sind Sie dabei sensibel, damit Sie Menschen nichts überstülpen, was sie nicht wollen. Doch Menschen ersehnen Gebet viel öfter als wir Geistliche es uns manchmal trauen. Ein Gemeindeglied sagte mal vor vielen Jahren über einen Pfarrer: „Küchle hot er gessen, aber gerbert hot er nix.“  Offensichtlich hatte das Gemeindeglied ein Gebet erwartet, vielleicht sogar ersehnt. Das habe ich mir als junge Pfarrerin gemerkt.
Sie sind froh, dass Sie in Ihrem Elternhaus zu beten gelernt haben. Dass Sie selbst Kindergottesdienst hielten in der Maria Magdalena Kirche in Fürth und eine Jungschar im CVJM Fürth leiteten, hat dazu beigetragen, dass Singen und Beten Ihnen in Fleisch und Blut überging.
Sie waren hier Vikarin. Sie waren Lernende, und zugleich haben Sie hier in wachsender Selbständigkeit pastoralen Dienst getan. Herwig Dinter ist ein guter, sehr erfahrener Gemeindepfarrer. Auch andere in Predigerseminar, Schule und Gemeinde haben dazu beigetragen, dass Sie nun gut ausgebildet sind für den Pfarrdienst. Fertig sind wir sowieso nie und Lernende bleiben wir hoffentlich immer – eben auf dem Weg der Liebe, den uns Jesus voran gegangen ist.
Ich freue mich jetzt schon auf Ihren Dienst in der bayerischen Kirche, den Sie so Gott will in einem Jahr beginnen werden - noch dazu bereichert mit der großen Horizonterweiterung durch den Dienst in der lutherischen Kirche in Polen.
Sie werden ein Jahr im Dienstverhältnis der dortigen Kirche sein, und Sie tun diesen Dienst dort auch schon als Pfarrerin. Denn heute werden Sie ordiniert.
Sie werden heute berufen zur Christusnachfolge, Sie werden gesandt zur öffentlichen Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament und Sie werden gesegnet für Leben und Dienst in der Christusnachfolge. Diese Berufung, Segnung und Sendung gelten lebenslang. Ich leite zwar die Liturgie, doch vertraue ich, dass Christus an Ihnen handelt.
Der den Bartimäus hörte, der wird Sie hören, der Menschen zu Bartimäus sandte, der sendet Sie heute, denn er will Menschen helfen an Leib und Seele. Und er wird es tun, an Ihnen und durch Sie.
Amen.