Predigt zum Christfest am 1. Weihnachtstag zu Ex. 2,1-10

„Wir lassen uns nicht zu Feinden machen.“
Es gibt Sätze, die bleiben mir im Gedächtnis, weil sie einfach, grundlegend und berührend sind. „Wir lassen uns nicht zu Feinden machen“, ist ein Satz von Daoud Nassar. Er ist evangelischer Christ im West-Jordanland nahe bei Bethlehem und leitet das Friedensprojekt Tent of Nations, Zelt der Nationen.
Im Jahr 2014 hatte ihm die israelische Armee kurz vor der Ernte 200 Aprikosenbäume weg-gebulldozert, weil sie angeblich auf Staatsland gepflanzt waren. 2021 zerstörten muslimische Nachbarn mehrere Tausend Weinstöcke. Christen in Palästina werden zerrieben zwischen den Fronten.
Umso bewegender der Satz: „Wir lassen uns nicht zu Feinden machen.“ Das ist der Geist, den Jesus bringt. Mit seinem Geist erlöst er aus kleinen Aggressionen in den Familien, bis hin zu echtem Hass und Kriegstreiberei zwischen Völkern.

In der Zeitung las ich neulich die Formulierung: wir leben in einer „Zeit multipler Krisen“. Das klingt ein bisschen wie Multiple Sklerose. Unsere Welt ist krank. Sie war es – durch menschliche Schuld - schon immer, doch die Kriege im Heiligen Land und in der Ukraine, die Klimakrise und der Vormarsch menschenfeindlicher rechtsextremer Positionen in unserer Gesellschaft kommen uns nah.

Gott sucht gerade in solchen Zeiten Menschen, die seinen Frieden bringen, seine Barmherzigkeit leben und Hoffnung verbreiten. Als ich diese Woche in Hof war, um meine Fernsehansprache bei tvo aufzunehmen, sagte eine Mitarbeiterin zu mir leidenschaftlich: „Es braucht Hoffnung. Es braucht Menschen, die Hoffnung haben, ausstrahlen und zu anderen transportieren.“ Ja, es braucht solche Menschen, wir alle können solche Menschen sein, angesteckt vom größten Hoffnungsbuch aller Zeiten, unserer Bibel.

Auch das Bibelwort für den ersten Christfesttag ist solch eine Erzählung voll Hoffnung:
Drei Frauen handeln in dieser Geschichte - eine hebräische Mutter, ihre Tochter und die ägyptische Pharaonentochter. Sie bleiben hier namenlos. Aber die Bibel erzählt von ihnen und drückt aus, dass das, was sie tun, wichtig ist.
Die Mutter sieht ihren neugeborenen Sohn an - findet es schön - wie Mütter ihre Kinder schön finden, auch wenn das Gesicht nach der Geburt noch so verschoben ist.
Sie verbirgt es und heckt einen Plan aus mit ihrer Tochter. Er kann völlig schief gehen. Der Pharao hatte seinem ganzen Volk befohlen, alle hebräischen männlichen Neugeborenen im Nil zu ersäufen. Sie setzen das Kind in einem Weidenkörbchen ins Schilf des Nils.
Nun liegt also der Säugling am potentiellen Todesort. Ausgerechnet die Pharaonentochter kommt. Sie erkennt sofort, dass es ein hebräisches Kind ist - und nun ist entscheidend, was die Bibel weiter erzählt: „es jammerte sie“. Sie hatte Mitleid mit diesem Kind. Das ist die Wende. Mitleiden, Barmherzigkeit. Das ist die Grundbewegung Gottes und die erzeugt er in der Prinzessin.
Es gehört zum Witz der Bibel, dass die Schwester des Kindes die eigene Mutter als Amme anbietet, und die Mutter als Amme noch Geld für das bekommt, was sie eigentlich gar nicht tun dürfte: ihr eigenes Kind zu stillen und am Leben zu erhalten.
Und es gehört zum Hintersinn der Bibel, dass die Prinzessin einen Namen wählt, der auf Hebräisch bedeutet: Aus dem Wasser gezogen. Das Wort ist aber auch ägyptisch und bedeutet schlicht Sohn. Sie adoptiert ihn. Mose wird Nahrung, Bildung, Zukunft erhalten am ägyptischen Hof. Später wird er das Volk aus Ägypten in die Freiheit führen. In seinem Leben ist Hoffnung.
Und noch etwas gehört zum Tiefsinn dieser Geschichte. Jenseits des Namens Mose taucht das dem Namen zu Grunde liegende hebräische Verb nur noch ein einziges Mal in der Bibel auf - im Psalm 18: Der Psalmbeter spricht über Gott: „Er streckt seine Hand aus von der Höhe und ergreift mich und zieht mich aus großen Wassern.“ Der Bezug beider Bibelstellen ist wohl kein Zufall. Er macht zum einen deutlich, dass Gott es ist, der bei der Errettung des Mose handelt und den zukünftigen Retter selbst rettet. Und es macht zum anderen deutlich, dass das, was da bei Mose geschieht auch im Leben von Betenden geschieht. „Er (Gott) zieht mich aus großen Wassern.“

Was ich so beeindruckend finde an dieser und allen biblischen Geschichten: Die Bibel erzählt nicht die Geschichte der Mächtigen. Ich musste erst nachschauen, welcher Pharao wohl zu jener Zeit regierte. Vermutlich sind zwei Zeiten miteinander verwoben - die des großen Pharaos Ramses II und die von Necho II. Man weiß es nicht so genau.
Denn die Bibel legt eben den Fokus nicht auf die Machthabenden, sondern auf die Machtlosen, auf die, von denen kein Geschichtsbuch schreiben wird.

Gott hat immer schon die Opfer im Blick in Kriegen, die Unterdrückten in den Ehen – Männer wie Frauen, die Verzweifelten in Krankheit. Seine Geschichte, die er schreibt, ist nicht, wie ein Herrscherhaus blüht und welche Regierungen gebildet werden, sondern wie Verzweifelten geholfen wird.
Frauen waren damals per se machtloser als Männer. Dort am Nil tut er sein Werk durch drei Frauen: zwei, die das Unmögliche wagen im Vertrauen auf Gott und eine, die ausgerechnet eine andere Nationalität hat, die eigentlich die Feindin wäre, aber Mitleid hat.
Mit ihnen beginnt Gott die Befreiung eines ganzen Volkes aus der Sklaverei. Das wissen sie gar nicht, aber Gott weiß es schon.

Bei Maria, der Mutter Jesu, war es ja genauso. Wer von uns würde diese Maria aus Nazareth kennen? Sie war ein normales Mädchen im Volk. Und heute ist sie für uns die berühmteste fromme Frau, die Mutter des Retters der Welt. Für Gott war sie damals schon wichtig. Maria ist selbst so verwundert über das, was ihr der Engel Gabriel sagt, dass sie ihrer Verwunderung Ausdruck verleiht und ein Lied singt, das als das revolutionärste in der Menschheits-geschichte bezeichnet wird. Es ist ein Lied voll Hoffnung und beginnt mit den Worten: „Du hast die Niedrigkeit deiner Magd angesehen“. Sie versteht auf einmal, dass Gott so ist und das immer wieder so macht und singt weiter: „Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“.

Ganz andere Personen waren zur damaligen Zeit wichtig - der Kaiser Augustus. Geschichtsbücher schreiben von ihm. Die Bibel erwähnt ihn kurz, aber sie erzählt nicht seine Geschichte, sondern die Marias. Warum? Weil Maria auf Gott hörte und sich gebrauchen ließ von ihm. „Mir geschehe, wie Du gesagt hast“, antwortet sie dem Engel, der ihr verkündet hatte, dass Gott sie auserwählt hat.
Die Bibel ist das ganz andere Geschichtsbuch. Es erzählt von ganz normalen Menschen, die doch für Gott wichtig sind und für seine Versuche zu retten und zu helfen, Menschen, die nie damit gerechnet hätten, dass Gott sie so braucht.
Dem Mose wird er einst am Dornbusch sagen: Ich habe das Leiden meines Volkes gesehen.
Darum: Je schlimmer die Situation, desto größer wird meine Hoffnung, dass Gott schon längst mit der Gegenbewegung begonnen hat. Menschen können unendlich grausam zueinander sein. Keiner leidet daran mehr als Gott selbst.
Er sucht auch heute ganz normale Menschen, die sich von ihm gebrauchen lassen und seinen Weg unbeirrbarer Menschenfreundlichkeit gehen.
Manche in unserem Volk säen Menschenfeindlichkeit gegen Fremde. „Wir lassen uns nicht zu Feinden machen.“ Er braucht heute uns, die wir in keinem Geschichtsbuch stehen werden. Gott schreibt seine Geschichte mit uns, die seine Liebe im Herzen tragen, die mit ihm verbunden sind und Hoffnung verbreiten.

Vor Weihnachten erhielt ich einen Brief von Nicholas Frayling, der auch hier schon vor 7 Jahren beim Internationalen Gottesdienst gepredigt hat als er Dean von Chichester war. Nun ist er 75 Jahre alt. Ich kann ja nicht besonders gut Englisch und ich zweifelte an meinen Fähigkeiten als ich in seinem Brief las:
„What I call the PLUM prayer remains very important to me.” Heißt plum nicht Pflaume? Übersetzt hieße das also „Was ich Pflaumen-Gebet nenne, bleibt sehr wichtig für mich.“ Ich nutzte die automatische Textübersetzung des Internets. Aber es wurde nicht besser. Plum heißt Pflaume.
Ich kehrte zu seinem Text zurück und las weiter: „Please, Lord Use Me. Damit war klar, was Plum bedeutet: die Anfangsbuchstaben von: Please Lord Use Me. Übersetzt: „Bitte Herr gebrauche mich“. Und er fährt fort. „Ich bitte täglich, dass er das tut und ich werde fortsetzen, ihn so zu bitten.“
Nicholas hat Humor, englischen Humor. Pflaumen, sind Menschen, die zu nichts zu gebrauchen sind, oder das zumindest denken. Aber Gott schreibt mit ihnen seine Geschichte. Für Gott wird nur wichtig sein, von was wir uns anstecken ließen - von Feindseligkeiten, in Familie und Gesellschaft, oder ob wir uns weigerten uns zu Feinden machen zu lassen, weil wir seine Liebe im Herzen tragen, die er in uns entzündet hat – in uns als seine Hoffnungsträger.
Amen.